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Mirecourt, ein alte Ansicht mit Brücke und Kirche.

Herkunft

Geigenbauzentren in Europa
Ein Großteil der alten europäischen Streichinstrumente aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert stammt aus einem der drei bedeutenden Geigenbauzentren: Markneukirchen/Schönbach in Sachsen und Böhmen, Mittenwald in Bayern, sowie Mirecourt in den Vogesen. In diesen Regionen entwickelte sich der Geigenbau zunehmend arbeitsteilig – handwerklich geprägt, aber zugleich bereits durch frühe Formen der Industrialisierung und logistische Organisation geprägt. So entstanden Instrumente in jeweils eigener handwerklicher, regionaler Tradition.

Neben dieser Serienfertigung wurden in diesen und vielen anderen europäischen Orten auch stets hochwertige Einzelinstrumente gebaut – individuell, künstlerisch geprägt und in feiner handwerklicher Ausführung.

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Mirecourt

Das französische Zentrum des Geigenbaus liegt im lothringischen Mirecourt, einer kleinen Stadt in den Vogesen. Die meisten der bekannten französischen Geigenbauerfamilien – auch jene, die später in Paris große Berühmtheit erlangten – stammen ursprünglich aus Mirecourt. Die örtliche Zunft der Geigenmacher wurde dort bereits im Jahr 1732 gegründet.

Wie in anderen europäischen Zentren entwickelte sich auch in Mirecourt im Laufe der Zeit eine arbeitsteilige Serienfertigung. Im Unterschied zu den Systemen in Mittenwald oder dem Vogtland basierte die Produktion jedoch nicht auf dem Modell des Verlegers oder des Handelshauses, sondern auf manufakturähnlich organisierten Großwerkstätten, in denen häufig viele Beschäftigte tätig waren.

Die Serienproduktion mit klar wiedererkennbaren Modellen spielte dabei eine zentrale Rolle. Auch der Erwerb und die Nutzung bekannter Geigenbauernamen als Marken innerhalb des eigenen Sortiments war ein verbreitetes Prinzip. Besonders prägend waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts die großen Manufakturen Jérôme-Thibouville-Lamy (JTL) und Laberte-Magnie.

Neben der industriellen Fertigung hatte aber auch der künstlerische, handwerklich anspruchsvolle Geigenbau stets einen hohen Stellenwert. Viele Impulse kamen dabei aus Paris – sowohl durch engen fachlichen Austausch und enge Handelsbeziehungen, als auch durch Geigenbauer, die nach einer Zeit in der Hauptstadt oder anderen europäischen Metropolen nach Mirecourt zurückkehrten.

Heute spielt die industrielle Serienfertigung in Mirecourt keine Rolle mehr. Die Stadt ist jedoch weiterhin ein lebendiger Ort des Geigenbaus: Mit ihrer renommierten Geigenbauschule und zahlreichen Werkstätten freischaffender Geigenbauer wird die Tradition auf hohem handwerklichen Niveau fortgeführt. Einen eindrucksvollen Überblick über die lokale Geigenbaugeschichte bietet das Musée de la Lutherie, das mit seiner Sammlung und historischen Werkstatt einen authentischen Einblick in das Mirecourter Instrumentenhandwerk ermöglicht.

Mittenwald

Der Ursprung des Mittenwalder Geigenbaus lässt sich auf eine einzelne Persönlichkeit zurückführen: Matthias Klotz (1653–1743). Nach seiner Ausbildung – vermutlich in Padua – kehrte er in den 1680er Jahren nach Mittenwald zurück und gründete dort seine eigene Werkstatt. Damit legte er den Grundstein für eine über Jahrhunderte lebendige Geigenbautradition.

Für die Entwicklung des Geigenbaus in Mittenwald kamen mehrere günstige Faktoren zusammen:

In den Höhenlagen des Karwendelgebirges wächst besonders hochwertiges Tonholz. Die langen, schneereichen Winter boten den Menschen – oft Bauern, Handwerker oder auch Hufschmiede – Gelegenheit, einer ergänzenden handwerklichen Tätigkeit nachzugehen. Die Lage an der Handelsroute zwischen Augsburg, Bozen und Venedig ermöglichte den Geigenbauern einen guten internationalen Absatz. Wie im Vogtland entwickelte sich auch in Mittenwald im 19. Jahrhundert eine arbeitsteilige Fertigung, um der wachsenden Nachfrage nach erschwinglichen Instrumenten gerecht zu werden. Dabei entstand jedoch kein klassisches Händlersystem, sondern das sogenannte Verlegersystem: Einzelne Werkstätten wurden von wenigen Verlegerfirmen mit Tonholz und Materialien beliefert. In arbeitsteiliger Herstellung – oft im Winter – fertigten Familien und kleine Werkstätten Instrumente, meist in Teilen, die in den Werkstätten der Verleger anschließend vollendet, lackiert und spielfertig gemacht wurden.

Die Firmen A. Baader & Co. sowie Neuner & Hornsteiner wurden zu den bedeutendsten Verlegern Mittenwalds. Parallel dazu arbeiteten auch eigenständige Geigenbauer in traditioneller Handwerkskunst und widmeten sich dem künstlerisch anspruchsvollen Geigenbau.

Angesichts der zunehmenden Spezialisierung gründete König Maximilian II. von Bayern die Mittenwalder Geigenbauschule, um das über Generationen überlieferte Wissen zum vollständigen Bau einer Geige zu erhalten. Die Schule besteht bis heute und ist ein wichtiger, international hoch angesehener Ort, der sich Weitergabe dieser Tradition widmet.

Mit der Weltwirtschaftskrise zwischen den beiden Weltkriegen brach der industrielle Geigenbau durch Verlegerfirmen weitgehend zusammen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte der Mittenwalder Geigenbau einen Neuanfang – getragen von kleinen Meisterwerkstätten, die bis heute hochwertige Instrumente in der klassischen Mittenwalder Handwerkstradition fertigen.

Ein Besuch im Geigenbaumuseum Mittenwald lohnt sich: Dort findet sich eine wertvolle Sammlung historischer Instrumente, eine originalgetreue Werkstatt und viele Informationen zu den Meistern und zur Geschichte des Geigenbaus in Mittenwald.

Markneukirchen und Schönbach

Eines der ältesten Geigenbauzentren Europas liegt im sogenannten Musikwinkel, einer traditionsreichen Region, die sich über das südliche sächsische Vogtland rund um Markneukirchen und Klingenthal bis in den angrenzenden nordböhmischen Raum mit Schönbach (heute Luby) und Graslitz (Kraslice) erstreckt.

Die dokumentierte Geschichte des vogtländischen Geigenbaus beginnt im Jahr 1677 mit der Gründung einer Geigenmacherinnung in Markneukirchen – ins Leben gerufen von Exulanten aus Graslitz, die im Zuge der Gegenreformation ihre Heimat verlassen hatten. Aus kleinen, handwerklich geführten Werkstätten entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts ein bedeutender Wirtschaftszweig. Durch ein eng geknüpftes Handelsnetz belieferten die Geigenbauer bis ins frühe 20. Jahrhundert große Teile des Weltmarkts.

Ein erheblicher Teil der Produktion erfolgte arbeitsteilig in vielen kleinen Familienwerkstätten – unter starkem Konkurrenzdruck, aber mit handwerklichem Geschick und Qualitätsbewusstsein. Anders als im Mittenwalder Verlegersystem bezogen die örtlichen Handelshäuser in der Regel bereits spielfertige Instrumente. Einige größere Werkstätten hatten auch ihren eigenen Vertrieb.

Zahlenmäßig überwog die sogenannte „Dutzendware“: schnell gefertigte, einfache Instrumente für den Schüler- und Laienmarkt, die zwar weltweit Absatz fanden, aber dem Ruf des sächsisch-böhmischen Geigenbaus nicht immer gerecht wurden. Daneben entstanden auch in dieser Region kontinuierlich anspruchsvolle Meisterinstrumente. Viele davon wurden – wie auch die Serienware – über Handelshäuser vertrieben, oft ohne Namenskennzeichnung, sodass eine eindeutige Zuschreibung heute meist schwierig ist.

Um 1800 gab es in und um Markneukirchen rund 80 eigenständige Werkstätten, bis 1913 waren es allein dort über 200, die Streichinstrumente in sämtlichen Qualitätsstufen herstellten. Noch heute sind in Markneukirchen und Umgebung etliche Geigenbauer tätig – teils in Familienbetrieben mit Traditionen, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Der Großhandel spielt heute allerdings keine Rolle mehr.

Ein Zeugnis des früheren Wohlstands der sogenannten „Fortschicker“ – der Handelsfamilien des Geigenbaus – sind die prachtvollen Stadtvillen aus der Gründerzeit und dem Jugendstil. In einer davon, der Villa Merz, ist heute die Fachschule für Geigenbau untergebracht. Auch in Klingenthal sowie im böhmischen Luby (ehemals Schönbach) befinden sich heute Geigenbauschulen.

Einen umfassenden Einblick in die reiche Geschichte des vogtländischen Instrumentenbaus bietet das Musikinstrumentenmuseum Markneukirchen mit seiner bedeutenden Sammlung historischer Instrumente.

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